Regen, Nässe, Ermüdung, Platten? und beeindruckende Begegnungen mit Mensch und Natur
Weiter in den Südosten von Alaska. Kennecott ist eine Kupferminenregion, welche eine wirklich beeindruckende Geschichte hat. Um 1900 haben zwei Geologen eine hohe Dichte an grünen Steinen gefunden, welche sich als Kupferoxid herausstellten. 1906 wurde veröffentlicht die grösste Kupferansammlung der Welt gefunden zu haben und die Finanzierung wurde von Guggenheim und J.P. Morgen gestellt. Das grösste Problem ist die Lage der Kupferberge und die Anbindung an einen Hafen. Über 3 Jahre wurden 315km Schienen verlegt. Teilweise ging die Strecke über einen Gletscher, von den 129 Brücken ganz zu schweigen und kostete USD 25m (heutiger Gegenwert USD 625m). Die Lebenszeit dieser Minen (3 insgesamt) war sehr begrenzt und ging von der Fertigstellung der Eisenbahnanbindung 1911 bis 1938. Im November 1938 verließ der letzte Zug das Dorf und nahm alle Einwohner mit. Seither waren sowohl der Minenort (Kennecott) als auch das 7km entfernte Dorf McCarthy (für Besucher, Prostituierte, Bars, also für die Unterhaltung der Minenarbeiter) komplett dem Verfall überlassen. 1960 wurde entschieden die Dörfer und Minen zu zerstieren, was allerdings nur ansatzweise ausgeführt wurde. Insgesamt wurden wohl USD 150m Gewinn erwirtschaftet (Gegenwert ca. USD 4Mrd.) Heute ist es ein schönes Dorf mit einer noch viel schöneren Lage, allerdings weiterhin mit einer einstelligen Einwohnerzahl. Es liegt direkt am Kennicott Gletscher, welcher noch von zwei weiteren Gletschern gespeist wird (Natur schreibt sich mit i, Unternehmen mit e). Sollte man sich mal auf Google Maps anschauen. Mein grösstes Problem: Um dorthin zu kommen sind erstmal 100km Schotterstrasse zu fahren (darf ich nicht mit dem Mietwagen) und dann 7-10km mit einem Shuttle oder zu Fuss von McCarthy nach Kennecott oder zum “Campingplatz”. Ca. 10km vor dem Ziel ging das Lämpchen an, welches laut Autobedienungsanleitung fuer Reifendruck steht… schlecht, wenn man nichtmal auf der Strasse sein dürfte. Naja bis zum Parkplatz habe ich es geschafft. Ich habe mich gegen die teure Lodge und für das Campen entschieden und bin mit all meinen Dingen losgezogen. Mir wurde gesagt ich würde viele andere Leute dort finden… Erst mit dem Shuttle 20min nach Kennecott, dann durch das Dorf und dann zum Gletscher. Der Campingplatz ist umsonst und auch kein Campingplatz. Er bietet einzig ein Plumpsklo und einen bärensicheren Container. Die Lage allerdings ziemlich cool:
Da habe ich die erste Nacht mit zwei weiteren einzelnen Campern übernachtet und bin bestimmt 3 mal aufgewacht weil irgendetwas um mein Zelt geschlichen ist. Auf mein: “Hello, who is there”, war die Antwort immer schnelle Schritte und danach Stille. Ich weiss bis heute nicht was es jeweils war, mir wurde allerdings gesagt, dass es ein sehr beliebter Ort von Stachelschweinen ist. Hoffen wir es waren Stachelschweine. Den ersten Tag bin ich zur grössten Mine gewandert. Die Bonanza-Mine hat mich unterwegs viel an Oma denken lassen. Als kleiner Junge habe ich mit Oma immer diese Westernserie Bonanza geguckt. Noch heute klingt die Titelmusik in meinen Ohren.
Unterwegs zur Mine habe ich mal wieder Bekanntschaft mit einem Bergmurmeltier gemacht. Diese Tiere mögen mich irgendwie, denn Murmeli probierte erst meine Kamera zu klauen und hat dann noch an meinen Schnürsenkeln gezogen. Lustiges Kerlchen.
Der Weg zur Mine war leider (wie die meisten Wanderungen) teilweise im Schnee versunken. Dieses Mal hatte ich allerdings das grosse Glück, dass ein Pärchen eine Stunde vor mir unterwegs war und mir eine schöne Route durch den Schnee geebnet hat (konnte leider die nassen Wanderschuhe nicht ganz verhindern).
Die Mine selbst besteht nur noch aus einem verfallenen Gebäude und die eigentlichen Minenschächte sind verschüttet. Es ist natürlich verboten in das Gebäude einzusteigen.
Das ist aufgrund der teilweise eingestürzten Dächer auch nachvollziehbar. Immerhin wurde es seit ca. 70 Jahren nicht mehr gewartet oder stabilisiert. Naja, war auf jedenfall sehr spannend durch das Fenster einzusteigen:
Der Weg auf die Bergspitze hätte nochmal 300 Höhenmeter nach den bereits 1000 Höhenmetern bedeutet. Leider war dort oben so viel Schnee, dass mir das Risiko zu hoch war. Der Ausblick (der an der Mine leider versperrt war) auf die Gletscher soll sehr beeindruckend sein. Ich habe es nur bis zum ersten Vorsprung geschafft und bin dann wieder umgedreht.
Zurück im Ort hatte ich die Qual der Wahl. 30 Minuten zurück zum Zelt, einpacken, 30 Minuten zurück ins Dorf, um dort den letzten Bus zu nehmen und für USD 130 zu übernachten ODER einfach zurück zum Zelt und eine weitere Nacht dort umsonst schlafen. Ich habe mich trotz der schlechten Wetteraussichten für die günstige Variante entschieden und es noch bitter bereut. Nachdem ich mir noch das Dorf angeguckt habe:
habe ich 4 Amerikaner in meinem Alter angesprochen, die ebenfalls unterwegs zum “Campingplatz” waren. Leider bin ich bei denen böse abgeblitzt, denn sie hatten wohl kein Interesse sich mit mir zu unterhalten. So bin ich alleine ins Zelt um 17 Uhr und habe auch die Regenpause zum Kochen gewartet. Vergeblich. Ich habe im Zelt gekocht und bin mit dem Essen und Regenplane weg vom Zelt gegangen (man darf keinen Lebensmittelgeruch in der Nähe des Schlafplatzes hinterlassen, wegen der Baren). Es hat die ganze Nacht durchgeregnet. Immerhin hat der Regen die Geräusche der Tiere übertönt.
Für den nächsten Tag hatte ich eine ganztägige Gletschertour gebucht, da es auf dieser keine anderen Anmeldungen gab. Also die nassen Sachen einpacken und zurück ins Dorf watscheln. Der Guide war um 9 Uhr morgens schon Feuer und Flamme und begrüsste mich mit: “Are you Timo?, I heard you wanna go places today”. Ich war nach 5 Wandertagen, den feuchten Kleidern und Schuhen doch ziemlich ausgelaugt. Nichtmal gefrühstückt hatte ich zu diesem Zeitpunkt. Aber naja, ich wollte ja die Tour alleine haben, damit ich nicht mit dicken Amerikanern mit Flip Flops auf den Gletscher muss. Selbst schuld. Brandon (der Guide) und ich hatten einen tollen Tag. Er ist noch nie so weit auf den Gletscher mit Kunden vorgedrungen und hat auch noch nie eine solche Strecke zurück gelegt (25.5km). Der Gletscher ist sehr schön und hat den zweit längsten Eisfall nach einem anderen Gletscher im Himalaya (konnte ich im Internet nicht verifizieren). Faszinierenderweise bewegt er sich um 3m am Tag nach unten. Kein Wunder fallen dort immer wieder hausgrosse Eisblöcke runter. Ich lasse einfach die Bilder sprechen.
Auf dem Gletscher wächst eine Moosart (siehe Foto) und lebt der Eiswurm. Auch ein Wunder der Natur auf einem Eisfeld leben zu können. Interessant war die Diskussion über den Effekt des Gerölls auf dem Eis. Schützt es den Gletscher vor dem Schmelzen oder führt die dunkle Farbe der Steine zu einer stärkeren Absorption des Lichtes und damit zu einem schnelleren Schmelzen. Brandon war und ist überzeugt die Steine schützen den Gletscher, sodass Gebiete mit vielen Steinen zu einem Berg umschmolzen werden, bis die Steine vom Berg in die Täler purzeln. Dann dreht sich der Prozess wieder um und die Berge schmelzen ab, während die Täler von den herunter gefallenen Steinen geschützt werden. Nach Rücksprache mit dem lieben Felix wurde meine Theorie allerdings bestätigt, dass dünne Steinschichten zu einem schnelleren Abschmelzen des Gletschers führen. Es liegt einzig und allein an der Dicke der Steinschicht und genau genommen an der schlechten Wärmeleitfähigkeit der Steine, sodass dicke Steine die Wärme nicht bis zum Eis weiterleiten können.
Ziemlich erschlagen, bin ich an diesem Tag noch zum Auto und mit dem Auto über die Schotterstraße zurück gefahren. Alle Reifen hatten noch Luft… Puh Glück gehabt. Ich habe dann beschlossen erstmal ein paar Tage Pause einzulegen um zu trocknen, die Füsse auszuruhen und die Muskeln wieder fit zu bekommen. Auf dem Gletscher bin ich zwei mal auf die Schnauze gefallen, was nicht nur an Geröll und Eis lag, sondern wohl auch an der Müdigkeit. Apropos, am Tag danach bin ich von der Strasse abgefahren und habe für 15 Minuten geschlafen, weil ich so müde war. Als mich nach 15 Minuten der Wecker aus dem Tiefschlaf auf dem Fahrersitz gerissen hat, habe ich mich richtig richtig alt gefühlt. Das habe ich noch nie gemacht.
Auf der Strasse raus habe ich ein Bison angetroffen. Ziemlich beeindruckend gross diese Viecher:
Nach der Nacht im Auto, habe ich mir eine Unterkunft auf der Hälfte der Strecke zurück nach Anchorage gesucht. Auf dem Weg dahin habe ich einen Anhalter mitgenommen. Erst als ich kurz vor ihm zum Stehen kam, konnte ich erst sehen, dass er ein Bier in der Hand hatte und den Hals voller Tattoos, sowie ein selbstgestochenes unter dem Auge. Naja wird schon ein guter Junge sein habe ich gedacht. Kurz gefasst war es eine interessante Unterhaltung, denn der gute Mann (ca. 40 Jahre) lebt ein anderes Leben als ich. Er wurde mit eins adaptiert, hatte Probleme mit seiner Familie und reist seit Jahren von einem Job zum anderen durch die ganze Welt ohne jemals irgendwo anzukommen. Gross geworden ist er in Miami. Die Tattoos hat er laut eigener Aussage, um Leute abzuschrecken, sein Zwillingsbruder arbeitet in einer Boxschule und er will ihn besuchen. Alles was er besitzt hat er in einem Rucksack der ca. halb so gross ist wie meiner. An meiner Unterkunft habe ich ihn abgesetzt. Ich bin erstmal in den Hot Tub gesprungen… einmal richtig sauber werden.. Dann habe ich noch einiges an Kleidung von Hand gewaschen. Als ich ca. 3h später ins Restaurant einlief, sass er dort. Ihn hat keiner mehr mitgenommen. Hm, ich kann nicht abstreiten, dass ich nicht komische Gedanken hatte. Die Geschichte ging aber noch weiter. Er hat an meiner Unterkunft für 2 Tage gearbeitet, wir haben den Abend zusammen mit meinem Bier im Hot Tub verbracht und heute schläft er im Hostel in Anchorage im gleichen Zimmer. Geschichten gibts, die gibt’s gar nicht. Ist ein toller Kerl, mit einem deutlich weniger privilegierten Leben verglichen mit meinem.
Die Pausenzeit hat nur einen Tag angedauert, denn hinter der Lodge liegen die Sheep Mountains und diese haben traumhafte Farben, die mich stark an Utah/Colorado erinnert haben. Da bin ich am nächsten Tag ohne Wanderweg hochgestiefelt. Doch die schönste Überraschung lag nur 400m entfernt von der Lodge. Ein Autofriedhof, wie es viele hier oben gibt. Von oben betrachtet sieht man links die Lodge, in der Mitte die Autos und rechts die Startbahn die zur Lodge gehört:
Die Autos sind fast alles Volvos. Ein Liebhaber hat dort Volvos restauriert und verschrottet, bis er von einem Erdrutsch überrascht wurde. Seither erinnert es mehr an eine Müllhalde, mit wunderschönen Fotomotiven:
Auch die Wanderung hat sich gelohnt, denn die Berge haben verrückte Farben und oben haben drei weiße Bergschafe auf mich gewartet:
An der Lodge gibt es den Impossible Burger. Vielleicht habt ihr schon von Beyond Burgern gehört, die es mittlerweile auch in Zürich gibt und echtem Fleisch sehr ähnlich sind. Allerdings ist der Beyond Burger rein pflanzen basiert und das Blut wird mit Rote-Beete-Saft simuliert. Auch der Börsengang vor 4 Wochen von Beyond Meat war ein riesen Erfolg und die Aktie ist heute 3x so viel Wert wie am ersten Tag. Impossible Burger bedient sich einer anderen Methode, nämlich züchten sie künstliches Fleisch aus Genen der Sojapflanze. Die Konsistenz ist von richtigem Fleisch nicht zu unterscheiden. In den USA bietet jetzt Burger King den Impossible Burger an (noch teurer als das Fleisch). Ich bin mir sicher in 10 Jahren, sind sie für alle Europäer eine bekannte Alternative.
Jetzt ist Halbzeit meiner Alaskazeit. Ich bin wieder in Anchorage, gebe morgen mein Auto ab und mache jetzt wirklich 2 Tage Pause.
Ich stelle fest, dass ich seit ca. einer Woche in Alaska angekommen bin. Die Einsamkeit macht mir nicht mehr so viel aus, die Wanderungen bestreite ich ohne die ganze Zeit an die Bären zu denken und das schlechte Wetter nehme ich einfach hin. Ich bin gespannt wie die nächsten 4 Wochen werden.